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| witwe
lirsch steigt auf
leopoldine lirsch, geboren
1916 in wien als tochter des bahnhofswärterehepaares alois und hermine
schagerl, verliert bald ihr unschuldiges herz an den draufgängerischen
sohn des ortsansässigen weichenstellers, august horvath den vierten.
bald hält er um die hand der jungen liebreizenden leopoldine an, wird
von den eltern schagerl jedoch auf den 20. geburtstag ihrer tochter
vertröstet. doch in den wirren des bürgerkrieges von 1934 bekennt sich
august zu seiner anderen großen liebe - der liebe zur sozialdemokratischen
partei. der einsatz für den schutzbund ist ihm nun wichtiger als der
bund fürs leben. nach ende der kampfhandlungen ist er gezwungen, in
den untergrund zu gehen. so enttäuscht und verlassen, ehelicht leopoldine
1936 den konditor hans lirsch, der ihr schon seit jahren vergeblich
den hof gemacht hat. sie erlernt ihm zuliebe das zuckerbäckerhandwerk,
kommt jedoch ihren ehelichen pflichten niemals nach. ihre ganze fürsorgliche
zuneigung gilt den tieren im schönbrunner zoo. diese liebe geht soweit,
daß das ehepaar lirsch auch in zeiten allergrößter hungersnot einmal
im monat mühsam abgesparte, altbackene brotreste an die tierischen freunde
verfüttert. der dankbare blick der nil- oder sonstiger pferde wird ihnen
in den schweren zeiten zur überlebensnotwendigen aufgabe. auch nach
dem krieg pflegt das ehepaar lirsch die tradition des fütterns. aufgrund
der verbesserten konjunkturlage ist es hans lirsch jedoch unmöglich,
während der arbeitszeit die eigene konditorei zu verlassen. leopoldine
lirsch fährt von nun an einmal im monat alleine mit der straßenbahn
nach schönbrunn. in der bim trifft sie nach jahren der trennung wieder
auf august horvath, der als schaffner dem väterlichen berufe die treue
halten konnte. horvath erkennt seine alte liebschaft nicht wieder, lirsch
genießt im stillen. es genügt ihr, einmal im monat das geliebte antlitz
betrachten zu können. bis ins hohe alter fährt die inzwischen verwitwete
leopoldine lirsch einmal im monat mit der gewohnten straßenbahnlinie
zum tierpark. zum einen, um die wartenden nilpferde nicht zu enttäuschen,
zum anderen, um den alten geliebten vielleicht wieder einmal sehen zu
können. schon lange hat horvath nicht mehr dienst getan. als sich die
gewohnte untergrundstraßenbahnhaltestelle eines tages wegen bauarbeiten
nicht über die treppen begehen läßt, muß witwe lirsch erstmals ihren
fuß auf eine rolltreppe setzen. von hilfsbereiten fahrgästen auf die
korrekte Fahrrichtung aufmerksam gemacht, versucht leopoldine lirsch
die im nichts verschwindende stahltreppe zu erklimmen. vor angst läßt
sie jedoch die tasche mit den dreißig altbackenen semmeln fallen. ehe
sie die letzte semmel wieder vom boden aufheben kann, wird sie von der
rolltreppe in die tiefe gezogen. doch zu witwe lirschens verwunderung
wartet am ende des rollbandes nicht der tod, sondern das vertraute backgut.
selbstsicher nimmt lirsch die semmeln, entsinnt sich jedoch einer noch
oben liegenden, die den nilpferden bestimmt abgehen würde. doch kein
problem, denn schnell hat leopoldine lirsch gelernt, mit der gerade
noch unbekannten rolltreppe und deren vorteilen umzugehen.