maschek.in.ruhe - Pilotfolge (1998)
Text: Robert Stachel, Ulrich Salamun.
in einem wiener vorstadtpark. eine runde älterer herren
steht und sitzt um eine platzschachanlage.
Dworschak: alles schon einmal dagewesen. (pause)
ein raffiniertes bauernopfer. sollen hier um jeden preis linien
gegen den langrochierten könig geöffnet werden?
Maschek: schockierend, dabei von schlichtester bauart. schwarz
gewinnt dadurch doch ein entscheidendes tempo zum königsangriff.
D: dieses danaergeschenk hätt' er ablehnen müssen.
M: das tüpfelchen auf dem i. nun wird der weisse könig
eingekreist.
D: jaja. weiss beginnt, schwarz gewinnt.
die herren maschek und dworschak sehen einander an, nickend.
M: s'hat mich ein bisserl erinnert an an an an - na, helfen's
mir.
D: igor pragovar gegennnn ...
M: kozel velkepopovicky anno 68 in praha-liben.
D: ich darf korrigieren: pragovar - velkepopovicky richtig, aber
s'war die silvesterpartie 67 auf 68 im prmyslovy palac in prag-holschwitz.
M: das spiel der könige in der goldenen stadt.
[musikpause]
d sieht m etwas länger in die augen und streckt ihm die
hand zum gruße entgegen.
D: gestatten, kanzleirat dworschak.
M: hofrat maschek, angenehm.
man läßt sich auf ein gespräch ein, während
man die allee entlangschreitet.
D: es wird schon frisch.
M: jo, herbstelt schon.
D: jo, warum soll's im september nicht herbsteln?
M: s' war ja ein prachtsommer.
D: fast zu heiß, möcht' i' sagen.
M: sie haben ja g'schrieben, ein jahrhundertsommer soll's g'wesen
sein.
D: ja was die nicht alles schreiben. alle zwei jahr' haben wir einen
jahrhundertsommer.
M: was ich weiß, war 37 der heißeste von allen.
D: oder 17, hamma als buben hitzefrei kriegt, den ganzen juni waren
wir im altwasser unten an der donau.
M: 17 war ich ja noch in karlsbad d'roben.
D: a sind sie auch ein zug'reister, herr...
M: hofrat maschek, schon seit guten 80 jahren in der wienerstadt.
D: also doch ein echter wiener. ich bin ja erst 27 nach wien gekommen,
zum studium.
M: a ja, ich hab im 30er jahr begonnen mit der universität.
i hab vorher schon ein' beruf gelernt und mich dann später
erst zur staatswissenschaft berufen gefühlt.
D: i bin ja ein techniker, hoch- und tiefbauwesen.
M: sie kommen vom baugewerbe?
D: wissen's ich war ja nie gewerblich aktiv. i war 30 jahr' lang
am stubenring.
M: ah - bauten und technik.
D: richtig. wenn ma schon dabeisind, darf i fragen?
M: sie dürfen. i war bis zum 67er jahr im rathaus tätig,
abteilung für hektografie und fotomechanische wiedergabe, jetzt
ham'ses mit der pressestelle z'sammglegt.
D: doschaderanarau, dann simma ja im gleichen jahr in den wohlverdienten
ruhestand getreten.
M: ja 67, schon unterm marek.
D: s' ist nicht lang aus, keine 30 jahr.
[musikpause]
deutlich hörbar das dünne piepsen von dworschaks 70er-jahre-digitalarmbanduhr
M: hoppala, telefon.
D: neinein, was ich nicht da oben... ( er zeigt auf den kopf.)
... hab, hab ich am handgelenk. s'wird zeit für mein pulverl.
M: s' wird wohl nichts ernstes sein?
D: neinein, s'is nur das herz.
M: na dann, solang's nichts ernstes ist.
D: hauptsach g'sund sind wir.
M: richtig. richtig. richtig.
D: ja ja ja ja ja.
M: aber, ich will ja nicht klagen, man muß ja froh sein in
unserem alter. ein arbeitskollege von mir, nicht, ein jüngerer
arbeitskollege von mir, noch keine 70, hat erst kürzlich ein'
schlagerl gstreift.
D: man muß dem herrgott danken, daß wir in unserem alter
noch so gut beinand' sind. jeder tag ist ein geschenk.
M: jaja, mit stolzen 96 lenzen.
D: dann sind sie ja ein zwölfer - nein ein zweierjahrgang.
M: neunzehnhunderzwei.
D und M gleichzeitig: neunzehnhundertzwei.
D: da bin ich ja ein junger spund neben ihnen, als 7erjahrgang.
M: neunzehnhundertzwei, herr - ich bin nicht alt, ich bin sehr alt
(schulmeisterlich). Ah - ein siebenerjahrgang also.
D: 1907 war ja ein großer zweigeltjahrgang.
die beiden herren plaudern noch eine weile über die eckdaten
ihrer biographien, während sie den park in richtung strassenbahnhaltestelle
verlassen.
M: wo müssen sie hin?
D: i bin do glei gegenüber.
M: na gengans, so nah?
D: do wohnen wir schon seit 40 jahren, mei selige frau und ich.
is scheen da. i hab den ganzen tag die sunn und den blick
auf den schönen park. und ruhig issses, sehr ruhig. nur die
kinder, nö, jetzt wo die schul wieder angfangen hat, geht's
wieder rund um die mittagszeit. aber da halt ich eh mein schönheitsschlaferl
normalerweis.
M: na, und ich hab glaubt, wir haben noch an weg, an gemeinsamen.
schad. hoitaus, da kommt der 41er. oiso, herr - (peinliche
pause) herr...
D: kanzleirat dworschak, macht nix. i muss ihnen gestehen, i hob
auch ihren werten namen nicht behalten.
M: hofrat maschek, warma ein vergnügen, herr kanzleirat, aber
ich muss jetzt, sonst fahrt er mir davon.
D: ganz meinerseits, herr hofrat, hat mich gfreut.
maschek steigt in den strassenbahnwagen und faehrt davon.
[musikpause]
während dworschak steten, aber festen schritts seiner wohnung
im mezzanin entgegensteigt, überlässt ein rüstiger
mittsechziger maschek seinen sitzplatz in der tramway. maschek nimmt
dankend an und platz. über seinen brillenrand blickend schmökert
er im aktuellen vor-magazin, vielmehr interessiert ihn aber bald
das beigeheftete kursbuch der volkshochschule. nicht etwa, weil
er in seinem hohen alter noch den besuch eines sprach-, koch-, oder
fotographiekurses anstrebt, sondern weil er in den letzten jahren
einen kleinen spleen entwickelt hat. maschek nennt es die "hausaufgabe",
die er während jeder strassenbahnfahrt zu erledigen hat. um
sein gedächtnis wach zu halten, lernt er jedes semester die
kursbücher der wiener volkshochschulen sukzessive auswendig.
die übung beginnt mit dem abfragen des kapitels vom vortag
und setzt fort mit einer weiteren kursveranstaltung, die er sich
nun samt namen der vortragenden, terminangaben und inhaltsbeschreibung
wort für wort leise vorsagt und mit abgedeckter vorlage aus
dem gedächtnis wiederholt.
M: quantenbewusstsein, der weg über die psychotherapie hinaus.
selbsterfahrungsgruppe mit möglichkeit zur gestalttherapie.
lymphdrainage, entspannung fuer körper, geist und seele. beginn:
23. 9. 98, jeden mittwoch, 17 bis 18 uhr 30, leiter doktor bernhard
gaschler, psychotherapeut und lehrtherapeut an der neurologischen
abteilung des LKH graz. (pause, papierrascheln) oiso: quantenbewusstsein,
der weg über die psychiatrie hinaus. von der lymphdrainage
zur selbsterfahrung. beginn: 23. 9. 98, jeden mittwoch, 17 bis 18
uhr 30, leiter doktor bernhard dworschak, psychotherapeut und lehrtherapeut
an der neurologischen abteilung des LKH graz. (pause, er sieht
nach.) die namen merk i mir nie, wie komm i da jetzt auf an
dworschak? (strassenbahnatmo)
dworschak in seiner wohnung. alleine auf 140 quadratmetern
solider bürgerlichkeit. suchend schlurft er durch die küche,
in die speisekammer und wieder zurück. Er seufzt fragend.
D: Was werma heit essen? Was werma heit essen? ... Na werma schaun.
Was soll i oida depp heit essen? freitag warat an sich jo fischtag.
dworschaks blick bleibt an einer dose katzenfutter haften, aufschrift
"mit frischem kabeljau". die seit dem eu-beitritt deutlich erweiterte
markenvielfalt in den supermärkten hat dworschaks zielsicherheit
beim einkauf von konservenfabrikaten dermassen erschüttert,
dass er neuerdings manchmal einer wohlklingenden ausländischen
marke den vorzug gibt. er öffnet die dose mit dem an der wand
befestigten elektrischen öffner und schüttet den inhalt
behende in ein plastikgeschirr, das er in der mikrowelle erhitzt.
dazu schneidet er den mitgebrachten frischen pensionistenlaib brot
in scheiben und kredenzt sich sein abendessen am beistellttisch
der wohnzimmercouch, pünktlich zu beginn einer neuen episode
der fernsehserie "reich und schön". er setzt sich kommod zurecht
und geniesst seine mahlzeit.
(ot 'reich und schön', dazu ess-athmo)
maschek findet sich im foyer des bellariakinos wieder, wo er zwei
karten für der abendfilm "drunter und drüber" mit paul
hörbiger und theo lingen erwirbt. von der kartenverkäuferin
angesprochen, in wessen begleitung er sich den film ansehen wolle,
zuckt maschek mit den schultern.
M: die frau netuschil hat ma neulich a zusag geben, dass heut möglicherweis
vorbeischaut. i hoff, sie wird nicht vergessen. na vielleicht sollt
ich's doch noch anrufen. (gehen, münzen klingen)
M (laut ins telefon): maschek, gruessie frau netuschil.
hören's mich gut? nicht auflegen, der maschek is do! - jaaa-aaa,
hören sie mich? frau ne-tu-schiiiil? (betont, sie hat reagiert)
JA! JA! maschek! i bin jetzt in der bellaria! - sie hören
mich nicht, gell? den apparat hineintun! ham's den apparat nicht
drinnen! - (in richtung wartender kinogäste) sie hat
den hörapparat schon wieder vergessen reinz'tun. -
(ins telefon) - hören's mer zu, hörn's jetzt: maschek
hier, i hob ina kortn fuern theo lingen! - (wieder zu den gästen)
- sie hört's net! - (ins telefon) ich rühr
mich wieder bei ihnen, frau netuschil, wiederhören - (leise,
immer noch leicht singend) derrische blunzn! (hängt
auf, setzt sich zu den anderen wartenden gästen)
M: (in richtung anderer gäste) wos moch i jetzt mit
der andern kart'n? dem herrn aus dem park von heit nochmittag, dem
kenntma's geben. wenn ich nur wüssert, wie der g'hassen hot.
ts-ah. gaschler oder so... na des wors net. na kamma a nix mochn.
geri hoit wieder moi allanich.
[musikpause]
nach ende des heiteren streifens im bellariakino, den maschek
beinahe auswendig mitsprechen kann, beschliesst er, den abend mit
einem besuch im tanzcafe charleston zu beschliessen. am eingang
des etablissements begegnet ihm überraschend kanzleirat dworschak.
D: des derf jo net woa sein!
M: das sie do hergehn?
D: na so ein zufall!
M: die welt ist klein!
D: sie kennan a des charlie?
M: ja, natürlich, wer kennt es nicht? ich war ja schon a zeitl
nimmer do, seit mei frau nimmer is, um genau zu sein...
D: na da hab ich ja ein glück, dass ich sie ausgrechnet heut
da treff!
M: ma kummt ja viel zwenig unter die leut sonst.
D: sowas, der herr vom park. ich kanns gar nicht glauben.
M: dabei hab ich grad vorher erst an sie gedacht.
D: vielleicht solltma jetzt doch reingehn, mir wird scho kalt.
M: jo, bevor mer uns die füss in bauch stehen, such ma uns
lieber drinnen eine loge.
sie gehen hinein, über die silbrig glänzende, noch
unbenützte tanzfläche, zu den tischen in den logen führt
eine treppe hinauf. maschek übersieht sie und stolpert.
D: hoppala. sie warn mir jo fast gfallen.
M (rappelt sich auf): geht schon wieder, war nur der schreck, gö.
sie setzen sich.
M: auf des brauch i jetzt a achterl. fräulein! (in
richtung bar). - dorf ich sie jetzt auf einen zweigelt einladen?
wird zwar kein 7erjahrgang sein, aber ist gut fürs herz.
D: gerne, gerne. heit derf'ma einmal sündigen.
M: fräulein! - a bedienung ist des do!
nach einer weile wird den wünschen der herren entsprochen
und zwei achtel zweigelt kommen auf den tisch.
M: Prosit!
D: Wohlsein!
M: S'iss wie verhext! Mir fallt ihr name schon wieder ned ein, herr
kanzleirat!
D: Ferdinand Dworschak, mit D vorn, k hinten und an orsch in der
mitten.
M lacht: zum Wohl, Herr Dworschak!
D: Prosit, Herr Hofrat!
M: Maschek. Vladimir Maschek. (pause) und sie kummen öfter
daher ins charleston?
D: naj, seit i allan bin, a bisserl öfter, so einmal in drei
johr werns schon sein.
M: na und dass ausgerechnet heit, des is schon, netwoa?
D: na, so ein zufall, ich glaubs noch immer net.
M: auf des trinkma, netwahr? prost, herr kanzleirat!
D: prost!
sie trinken das glas in einem zug aus, bald bringt die bedienung
noch eines.
M: a fesches dirndl, des fräulein, gellens?
D: eine wucht! da könnt ma direkt schwach werdn, hahaha! (lacht
frivol)
M: ah - i sog ihnan, i fühl mi wie vor zwanzg joa heit, wie
ein junger bursch!
D: des is recht, so jung komma nimmer zsamm!
M: na wirklich sehr fesch is die.
D: fräulein! kommen's!
M: hören's, schon wieder?
D: i wü sie jo nur no a mal anschauen, des fräulein!
M: (lacht frivol) sie sind mir ja einer!
D: noch zwei achterln, bittschön! (zu maschek:) auf reserv'.
M: prosit! wie alt wird des pupperl sein, wos glauben sie?
D: no kane 50, sag ich ihnen!
M: a resches frauenzimmer!
D: und vü holz vor der hüttn!
M: kummens, auf des trinkma!
D: net so schnö, i hob schon a damenspitzerl!
M: i gspias a scho, na stravij!
D (belehrend): na strowje!
M: soda. - sie entschuldigen mi der herr, i muass jetzt den familienstrumpf
auswinden.
D: (lacht.) ja des gute weinderl treibt wie narrisch.
nachdem maschek sich wieder am tisch einfindet, schreitet die
berauschende stimmung der beiden herren langsam ihrem höhepunkt
entgegen. bald tauscht man den wein gegen schnaps, bald reift der
wunsch nach stärkerem und man schwelgt in erinnerungen.
M: mein herr, wissen sie, was wirklich schod is? (pause)
dass den dings nimmer mehr gibt, den na, helfen's ma, den ah - na
des scharfe zeug, was ma friacher gsoffen ham.
D: an absinth manans, des warat a gschicht. bist du narrisch.
M: an absinth, meiner seel. den ham die madln allaweil so gern ghobt,
und dann warns wach wia butter.
D: a propos: schauen's amal, da hinten am parkett, do tanzen ja
zwa weiberleit miteinander.
M: tatsächlich, is woahr. wenn i net scho so angsoffen war,
tat i da aner aushelfen. und für sie bleibat der andere alte
krampen.
maschek und dworschak ergehen sich noch eine weile in ausführlichen
beschreibungen der tanzenden damen. ob der lautstärke ihres
gespräches erregen sie bald aufsehen und mißstimmung
der übrigen gäste und des personals. nachdem sie wiederholt
fruchtlos zur ruhe gemahnt werden, komplementiert sie der inhaber
des etablissements unsanft zur türe hinaus.
M: so ein blöder bersch, kann respekt hat der vorm alter.
D: na vielleicht ist's jo auch besser so, i wollt eh bald gehen.
hab jo noch an weiten weg und es ist auch schon wirklich recht spät.
M: jessas schon nach 10 uhr. hoffentlich erwischen sie noch a tramway.
fahren die um so a zeit no?
D: jajajaja. wie ich noch im dienst war, bin ich manchmal erst um
die zeit aus dem amt gekommen. die fahren schon noch, i kumm schon
zrecht. ein alten deppen wie mir wird scho kana was tuan.
M: na dann kommens gut heim.
D: wissen's was, herr, .... herr...
M: vla-di-mir masch-ek.
D: Sie können ja morgen bei mir vorbeischauen, wenns wieder
im park sind. sie wissen jo jetzt, wo ich meine heimstatt hab.
M: aber jo, gerne.
D: i lad sie gern zum essen ein.
M: na kummt ja gornet in frage.
D: na wirklich, klar. i mach eh immer zu viel, weil mei gnädige
nimmer für mi kocht.
M: ja dann, des wer mir ein vernügen, herr, herr...
D: na dann läuten's morgen einfach an bei mir.
M: was steht denn auf der glockn?
D: dworschak. ferdinand dworschak. kanzleirat in ruhe. |