Reden
wir drüber |
UNTERHALTUNG
Mit seinen Livesynchronisationen des österreichischen Fernsehalltags
hat das Trio maschek ein neues Genre etabliert: das Drüberreden.
Geschichte und Analyse eines Phänomens. ANDREA MARIA DUSL
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Originaltext
aus
Falter 44/03
vom 29.10.2003
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Die
Quantentheorie beschreibt die grundlegenden Bausteine der Materie.
Sie hat nicht nur zu Lasern, Atomreaktoren und simplen Alltagsgegenständen
wie Handys und Fernsehen geführt, sondern auch zu höchst
komplexen, den Rahmen jeglicher Vorstellung sprengenden Ansichten,
wonach zum Beispiel ein Teilchen, von dem man weiß, wo es
ist, die Auskunft darüber verweigere, wie es ist. Eine Weiterentwicklung
der Quantentheorie meint überhaupt, dass das, was wir sehen,
nicht nur das ist, was wir sehen, sondern gleichzeitig auch etwas
ganz anderes.
Einfacher gesagt: Die Wahrheit existiert in vielen Versionen. Eine
davon nennt sich maschek.
Eine Beobachtung des Quantenphänomens maschek ließe sich
so beschreiben: Die Bühne ist in Dunkel getaucht, ihren linken
Teil nimmt eine Leinwand ein, rechts sind ein Sofa und ein Fauteuil
zu einer gemütlichen Sitzgruppe zusammengestellt. Auf einem
Teetischchen stehen eine Lampe und Gläser mit Leitungswasser,
auf einem Fernsehtischchen, der Sitzgruppe zugewandt: erraten, ein
Fernsehapparat. Auch der Bühnenrand wird von Monitoren eingenommen.
Manche davon sind taub, einige zeigen einzelne Silben, die sich
zum Wort ma-sch-ek zusammensetzen lassen, auf einem vierten läuft
ein simples Farbstreifen-Testbild.
Auf der großen Leinwand erscheint Thomas Klestil: "Meine
Damen und Herren, liebe Österreicher-Rinnen und Öster-Reicher,
liebe Lands-Leute ..." Was wir sehen, ist das Fernsehbild des
Bundespräsidenten; was wir hören, ist die Stimme des Bundespräsidenten;
was das Staatsoberhaupt sagt ... wird ihm von einem der drei jungen
Herren in den Mund gelegt, die unbemerkt in der gemütlichen
Sitzgruppe Platz genommen haben und uns auf die andere Seite des
Fernsehens entführen - auf die Maschekseite.
Unbeirrt spricht Thomas Klestil geordneten Unsinn zu uns, und er
ist nur der Erste in einem unheimlichen Reigen von Fernsehgrößen,
denen maschek auf ihre Art Gehör verschaffen. Helmut Zilk und
Dagmar Koller werden in "Willkommen Österreich" auftreten
und ein selbst verfasstes Lied zum Vortrag bringen, DJ Ötzi
wird über Häkelhüte plaudern und sein Bundespräsidentenwahlkampfprogramm
vorstellen, und das Detektiv/Rechtsanwalt-Duo Matula und Frank wird
auf die obskure Geschäftsidee kommen, sich als Heiratsschwindler
zu verdingen. Die Stimmen (und Texte) werden den Showstars und Serienhelden
von den drei "Rappern" in den Mund gelegt, die in einer
Mischung aus professioneller Coolness und lässiger Eleganz
in der Sofaecke liegen und lippensynchron in ihre Wangenmikrophone
sprechen.
"Seit zwanzig Jahren habe ich nicht mehr so gelacht",
meint eine atemlose maschek-Novizin nach ihrer "Fernseh-Karaoke"-Initiation.
"Ich dachte, Theater, Lachen und ich, das geht sich in diesem
Leben nicht mehr aus. Irrtum." - "Es sieht nach Routine
aus", erklärt ein erfahrener maschek-Aficionado. "Aber
jedes Programm ist anders, und jedes Mal sterbe ich tausend neue
Lachtode!"
Ein Geheimnis der Show liegt in der Fernseh-Allgegenwärtigkeit
der von maschek Porträtierten: Thomas Klestil, Vera Russwurm,
Elmar Oberhauser, DJ Ötzi, Jörg Haider, Wolfgang Schüssel,
die Singdrosseln von "Starmania" und die seitenblickegierigen
Besucher des Opernballs sind Teil der kollektiven Wahrnehmung. Ein
zweites Ingrediens ist die stimmenimitatorische Akkuratesse, mit
der das Trio arbeitet. Bisweilen bedienen sie sich auch des gegenteiligen
Effekts und reduzieren die Dargestellten auf ihre Dialektfärbung
(Freiheitliche kommen etwa stets aus Kärnten) oder geben ihnen
gar ganz andere Stimmen. Auch das ist zum Schreien komisch.
Und immer sind es saubere Plots, clever gesetzte Gags und die ungeheuerliche
Absurdität des Original-Bildmaterials, die nicht nur sprachlich,
sondern auch inhaltlich auf die andere, die Maschekseite führen.
So wird der österreichische Fernsehclown der Siebziger, der
Moralklamaukhippie Habakuk, bei maschek zum Host einer Schulfernsehsendung,
die auf eindrucksvolle und effiziente Weise veranschaulichen soll,
welche Gefahren die Einnahme bewusstseinserweiternder Substanzen
mit sich bringt.
Aus der Cliffhanger-Fernsehserie "24" schnippselten maschek
die Szene, in der Kiefer Sutherland alias Jack Bauer vom Jugo-Paten
Dennis Hopper gerade in einem unterirdischen Militärgefängnis
malträtiert wird, zu einem Minidrama in einem Wiener U-Bahn-Tunnel
um, in dem Meister und Geselle den Lehrbuben und HTL-Schüler
Bauer wegen einer verpfuschten Schweißnaht zur Sau machen.
Angefangen hat alles mit einem Zufall. Am 26. Oktober 1998 sitzen
Peter Hörmanseder, Ulrich Salamun und Robert Stachel auf einem
zerschlissenen Sofa und sehen fern. Der österreichische Staatsfunk
sendet die bekannte Nationalfeiertags-Soap: UHBP Thomas Klestil
am blank polierten Barocktischchen, die österreichische Nationalflagge
im Nacken, sympathisch beleuchtet von einer Nachtkastel-Lampe aus
dem Hotel Sacher. Der Bundespräsident richtet sich in staatstragendem
Erdbergerisch an die "Östereicher-Rinnen und Öster-Reicher
vor den Bildschirmen und Rundfunkgeräten". Und dann passiert
im maschek'schen Mikrokosmos der kleine, den Karriere-Tsunami auslösende
Schmetterlingsflügelschlag: Der Ton fällt aus. Robert
Stachel beginnt, die Rede Klestils aus dem Extempore zu synchronisieren.
Die erste Live-Karaoke-Sendung des Medien-Künstler-Trios findet
statt; der Synchron-Klestil fantasiert die Bildung eines schwarz-blauen
Kabinetts unter einem Bundeskanzler Schüssel, die Demission
von Viktor Klima und anderen von der Wirklichkeit längst eingeholten
Unsinn herbei. maschek nehmen den Lauf der Geschichte vorweg. "Wir
wissen bis heute nicht, was Klestil damals wirklich geredet hat",
erinnert sich Peter Hörmanseder an den legendären Abend
vor dem Fernseher. "Wie der Klestil dann aufgehört hat,
haben wir das folgende Programm einfach weitersynchronisiert."
Ein anderer Gründungsmythos von maschek geht so: Anlässlich
einer Performance in der Galerie Christine König bitten maschek
die Galeristin und den Kunstmailer und Kurator Lorenz Seidler alias
eSeL, einen Vortrag zu halten, bei dem sie nur die Lippen bewegen
sollten. maschek stellen sich hinter König und eSeL und synchronisieren
live. Dann bitten sie einen Gast aus dem Publikum zu sich, der ebenfalls
live synchronisiert wird. "Auf die Frage, wie er denn heiße,
haben wir dem dann den Namen Maschek in den Mund gelegt", so
Hörmanseder. Und dieser Herr Maschek habe dann seine Version
von der Erfindung des Live-Sprech-Karaokes erzählt: Seinem
Uropa, einem gewissen Hofrat Vladimir Maschek, sei vor der Rede
Klestils an die Nation der Fernsehton ausgefallen. Urenkel Maschek,
ein gelernter Elektrotechniker, habe beim Versuch, das urgroßväterliche
Fernsehgerät zu reparieren, dieses endgültig ruiniert
und die gegenständliche Rede, hinter dem Fernsehapparat sitzend,
synchronisiert. Dem Uropa sei die getürkte Ansprache gar nicht
aufgefallen.
Geschichten wie diese sind typisch für das Universum an Parallelwahrheiten,
in dem sich die Medienpiraten Peter Hörmanseder, Ulrich Salamun
und Robert Stachel bewegen. Ein Filmemacher aus Wels, ein angehender
Jurist und ein Publizistikstudent aus Wiener Neustadt laufen einander
1996 auf der Uni Wien über den Weg, finden Gemeinsamkeiten
in der Rezeption der Welt und basteln zunächst an einer Internet-Seite,
die abseitige Texte und seltsame Videoclips online stellt. Der Name
der Homepage: maschek.seite. Die gerne verwendete Erklärung
dafür: maschek komme vom ungarischen másik, "das andere",
und bezeichne die entgegengesetzte Seite, die Rückseite. Etwas
von der "Maschekseite", also von der verkehrten Seite,
zu machen oder zu nehmen, gilt seit den Zeiten der Monarchie als
Synonym für jegliche Form des alternativen Zugangs.
Im Sommer 1998 machen Hörmanseder, Salamun und Stachel Ernst
mit Lustig und gehen mit einer regelmäßigen Sendung im
Wiener Sender Radio Orange on air. Im breitesten DJ-Wienerisch geben
maschek Jean-Luc Queltruc und Laurent Anhalter, zwei Proponenten
der jungen Pariser Musikszene, die sich - zwischen strapaziösen
Passagen nervenzerfetzenden House-Trip-HipHop-Elektro-Chanson-Crossovers
- in nicht minder anstrengenden Dialogen über ihr musikalisches
Schaffen ergehen. Zitat Anhalter: "Man geht ja nicht hin und
sagt: ,Ich mach jetzt was.' Es ist ja meistens ... dass d' irgendwie
... Ich mein, man sagt schon: ,Ich mach jetzt was.' Aber man sagt
irgendwie nicht ... nicht genau: ,Ich mach was.'"
Ihre erste Bühnenshow absolvieren maschek im Dezember 1998
im legendären Wiener Wohnzimmerclub "Hobbythek".
Auf der Suche nach Bildern zu ihren Texten sind die drei regelmäßig
bei Altwarentandlern und auf dem Flohmarkt unterwegs. Bei einem
Second-Hand-Fotohändler fragen sie nach Diamagazinen. "Nur,
wenn Sie die Diarahmerl auch nehmen." Was der Händler
nicht wusste: In den "Rahmerln" steckten noch Originalbilder,
Found Footage von anonymen Familienfeiern, Abbilder österreichischer
Wirklichkeiten. Ein Glücksgriff: maschek erfinden Geschichten
zu den gefundenen Schicksalen, projizieren die Dias und verlesen
Texte. Fundbilder und die Sprache der Maschekseitler verschmelzen
zum ersten Mal live. Im Club entdeckt der Filmwissenschaftler, Off-Szene-DJ
und Falter-Autor Drehli Robnik das Trio und bietet ihnen einen Auftritt
vor noch mehr Publikum in seinem im Flex veranstalteten "Soft
Egg Café" an. Robnik verortet das Phänomen erst mal in
der "Spaßfraktion der Found-Footage-Avantgarde, dem Bildungsflügel
der Retro-Kultur"; für maschek sei wichtig, "dass
man über alles reden kann". Über alles. "Was
maschek tun", schreibt Robnik im Katalogtext anlässlich
ihres legendären Grazer Auftritts bei der Diagonale 2001, sei
"nur insofern Videokunst, Kabarett oder Politsatire",
als man das zum Glück nicht merke. maschek selbst nennen ihre
Arbeit nicht weniger unklar, aber selbstimmunisierend "pensionäres
Infotainment", off records präzisiert Hörmanseder
den Ansatz zur Genrebestimmung: "Wenn Virgil Widrich behauptet,
der Hermann Maier des österreichischen Kurzfilms zu sein, dann
wäre es nicht falsch, in uns den Leonhard Stock der österreichischen
Lustigkeit zu sehen."
Technisch begegnen maschek tatsächlich allem, indem sie drüber
reden: live oder auf Video, in Diskussionsrunden oder durch Nachvertonung
von Bildmaterial, das aus der Gegenwart des staatlichen Fernsehens
und aus den meist anonymen Film- und Foto-Archiven der Flohmärkte
und Altwarenhändler stammt.
Die Kurzfilmreihe "maschek.in .ruhe" etwa handelt von
den Pensionisten Hofrat Maschek und Kanzleirat Dworschak und einer
verwitweten Dame namens Lirsch, von denen man nur die "Subjektive"
- zittrige Füße oder Hände - sieht. Die Kommentarstimme
begleiten sie beim Rolltreppenfahren, Taubenfüttern oder Hundstrümmerlwegputzen
und enthüllt ihre Biografien: Kindheiten im goldenen Dunkel
der guten alten Kaiserzeit, Beamtenkarrieren und Liebschaften auf
Tanzbällen und im Austrofaschismus, die "lichten"
Nebel der Nazizeit.
1999 stellen maschek den Kurzfilm "Der graue Star 2 - die Wehrmacht"
zusammen. Anonymes Material, das ursprünglich vom harmlosen
Ausbildungsalltag Essener Polizeischüler und dem Griechenlandurlaub
pensionierter österreichischer Gendarmeriebeamter erzählte,
verdichteten maschek zu den Nachkriegserinnerungen ehemaliger SS-Offiziere.
Für Medientheoretiker Vrääth Öhner "trifft
das die Sache in ihrer Substanz. Von Ordnung, Sauberkeit, Männerbündelei,
Kameradschaft et cetera hätten auch ,echte' Dokumente zu berichten
gewusst. Und lustig ist es auch!" Mittlerweile vom Wiener Filmlabel
Sixpack vertrieben, wurde der seltsame Streifen auf der letztjährigen
Viennale-Eröffnungs-Gala aufgeführt - vor den staunenden
Augen der im Publikum sitzenden Medienartistin Yoko Ono. Der Film
reist inzwischen von einem internationalen Kurzfilmfestival zum
nächsten.
Wenn maschek Diskussionen ("Retro: Schicker Anachronismus oder
postmoderner Kokolores?") inszenieren, tangiert ihre Kunst
ähnliche Ansätze von Kollegen wie Stermann und Grissemann
oder "Projekt X". Die gefaketen Talkshows firmieren unter
dem Label "maschek.cirquel" und persiflieren in atemberaubender
Plausibilität das Genre der Hirnwichserei. Das Trio schlüpft
in die Rollen und Rhetoriken von Personen wie Bela Sathelynagy,
einem frei erfundenen Professor für Medikomediatik an der (tatsächlich
existierenden) Universität Szeged, des Soziologen Klausrezzo
Klöppke oder des Studenten Bertram Gaschler, der an der TU
Graz das Clubbing "Heidi und die Starken Männer"
veranstaltet. maschek persiflieren Bildungsanspruch und Geltungsdrang
der Fernseh-Intelligentsija. Ihr Hang zur Fälschung kennt keine
Trennschärfe zum Ernstgemeinten. Und stets schrammt ihre Hassliebe
zum Österreichertum hart an der Kaimauer zum Pathos.
Ihr Talent zum Drüberreden spulten maschek bisher in über
hundert Shows ab. Zwanzig Stunden einstudiertes Material umfasst
ihr Repertoire. Sie treten in Kinos und bei Filmfestivals auf, in
Grungetempeln wie in Szenecafés, in Stadtwerkstätten wie in
Loungeclubs - sogar in österreichischem Humor sonst hermetisch
verschlossenen deutschen Städten wie Hamburg, Hannover oder
Berlin. Vielleicht liegt ihr Erfolg jenseits des Weißwurstäquators
auch darin, dass den Auftritten der drei Medienamalgamisten bei
aller urbanen Tagesaktualität jene übersalzene Vorstadt-Patzigkeit
fehlt, wie sie für das heimische Kabarett so typisch ist.
Die Königsdisziplin, bei der das Drüberreden die größte
Magie entfaltet, heißt "maschek.redt.drüber":
Die drei Mascheks stehen oder sitzen und synchronisieren mit verstellten
Stimmen und unbeirrbarer Genauigkeit Cut-ups, die gerade live auf
eine Leinwand gebeamt werden. Im Wiener Rabenhof, im Grazer Theater
im Bahnhof und in der Linzer Stadtwerkstatt präsentieren Hörmanseder,
Salamun und Stachel einmal im Monat den televisionären Rückblick.
Weil es ganz sicher nicht Kabarett ist, woran sich die drei Herren
von der anderen Seite abarbeiten, darf mit einiger Sicherheit die
These aufgestellt werden, maschek habe mit dem Drüberreden
überhaupt ein neues Genre entwickelt. Wenn Fernsehen die Frage
war, dann sind maschek die Antwort. |
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